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Was ist ein Bratwurstjournalist?

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Nrnberge2“Besser online”, so lautete eine Veranstaltung des Deutschen Journalistenverbandes am vergangenen Wochenende in Mainz. Ich selber war zwar – aus verschiedenen Gründen – nicht dabei. Weil sich die Teilnehmer jedoch bemühten (beispielsweise über Twitter), das Geschehen auch den Daheimgebliebenen nahezubringen, erfuhr ich von einer neuen Begrifflichkeit: dem Bratwurstjournalisten.
Als Nürnberger wurde ich da natürlich sofort hellhörig. Meinten die etwa uns? Nein! Trotzdem gab es natürlich Erklärungsbedarf.

Ich bat also Hardy Prothmann, der den Begriff kreiert hatte, zum Interview. Prothmann schrieb früher für die Frankfurter Rundschau, den Focus und die Zeit und betreibt jetzt das Heddesheimblog, ein Lokalblog für das badische Städtchen Heddesheim. Derartige Blogs bezeichnet Prothmann übrigens als “die Zukunft des Lokaljournalismus“.

Du bist der Erfinder des Begriffs Bratwurstjournalist, wie bist Du darauf gekommen?

Hardy Prothmann: Ganz einfach. Ich habe mich über einen Artikel im Mannheimer Morgen geärgert, weil ich mich als Leser verarscht fühle, wenn ich einen dieser Sätze serviert bekomme: „Für das leibliche Wohl war gesorgt.“ Im Gespräch mit meiner Frau habe ich über diese Form von „Journalismus“ geschimpft und suchte nach einem griffigen Wort, um diese Form von lokaljournalistischem Autismus bildhaft zu packen. Um das „leibliche Wohl“ zu konkretisieren, habe ich eine Metapher gesucht. Da es auf fast jedem Fest Bratwürste gibt, fiel mir dann Bratwurstjournalismus ein.

Was zeichnet einen Bratwurstjournalisten aus?

Hardy Prothmann: Der typische Bratwurstjournalist schreibt immer dieselben blöden, langweiligen, ausgelutschten Formulierungen, wie man sie täglich in fast jeder Lokalzeitung lesen kann.

Gibt es einige typische Redewendungen der Bratwurstjournalisten?

Hardy Prothmann: Jede Menge. Meine Definition ist: „Der Wettergott war gnädig, die Bratwurst lecker, das Bier kühl.“ Die Langfassung könnte so lauten: „Obwohl die Aussichten nicht gut waren, zeigte sich der Wettergott letztlich doch gnädig und grüßte mit Sonnenstrahlen die Festbesucher – sehr zur Freude der zahlreichen Gäste. Auch für das leibliche Wohl war gesorgt: Wie es sich für ein zünftiges Fest gehört, löschten viele mit kühlen Gerstensaft ihren Durst und ließen sich natürlich wie jedes Jahr die leckeren Bratwürste schmecken.“ Die handelnden Personen sind meist „voll des Lobes und Dankes“, da wird „unterstrichen“, „betont“ und „hervorgehoben“, „sich gefreut“ und „scherzhaft angemerkt“, „sich erinnert“ und „erklärt“. Im Kern handelt es sich dabei um aufgepumpte Phrasen, also Bratwurstpoesie.

Wie wird man Bratwurstjournalist?

Hardy Prothmann: Indem man guckt, wie andere zuvor „berichtet“ „gebratwurstet“ haben und diesen Stil knallhart kopiert. Dann braucht es noch einen betreuenden Redakteur, der den Mist so abnimmt oder vielleicht sogar damit außerordentlich zufrieden ist. Die wichtigste Charaktereigenschaft aber ist ein ausgeprägter Hang zur Selbstverliebtheit, gepaart mit Liebedienerei. Anders kann ich mir nicht erklären, wie jemand, ohne rot zu werden, solch geschwurbelte Sätze schreiben kann.

Warum Bratwurstjournalist und nicht Bierjournalist oder Canapee-Journalist?

Hardy Prothmann: Geht auch. Genauso wie „Schnittchenesser von der Hauptversammlung“. Bratwurstjournalismus klingt aber für mich besser. Aber das ist eine Geschmacksfrage.

Wie ist Dein Verhältnis als Lokalblogger zu den Bratwurstjournalisten?

Hardy Prothmann: Ich sage höflich guten Tag und denke mir meinen Teil.

Was gibt es bei Euch eigentlich für Bratwürste, schmecken die überhaupt?

Hardy Prothmann: Na klar schmecken die. Dazu zitiere ich einen Vorabbericht:

„Heute abend lädt die Redaktion traditionell wie jedes Jahr wieder zu ihrem allseits bekannten und beliebten internationalen Novemberfest „Es geht um die Worscht“ ein.
Natürlich ist – wie der Festname schon vermuten läßt – für Speis und Trank gesorgt. „Nachdem im letzten Jahr die Feuerwürste in der Gunst der Gäste ganz oben rangierten, wollen wir doch mal sehen, ob nicht vielleicht die Thüringer oder auch die Nürnberger Bratwürste dieses Jahr am Besten munden“, betonte der Komitee-Vorsitzende Hardy Prothmann im Vorfeld.
„Ich freue mich ganz besonders, dass wir neue Sponsoren begrüßen dürfen, die die Spezialitäten direkt importieren“, erklärte Prothmann dieser Zeitung. Natürlich ließ es sich der bekennende Bratwurstliebhaber nicht nehmen, sich bei allen Helfern nochmals herzlich zu bedanken. „Ohne deren herausragendes Engagement wären die vielen, schönen Feste der Vergangenheit nicht möglich gewesen“, erinnert sich Prothmann voll des Lobes und des Dankes.
Mit Blick auf das kommende Fest kündigt er einen spannenden Wettbewerb an: „Die einzig wahre Bratwurst kommt für mich natürlich aus meiner Heimat – der schönen Pfalz.“ Ob sich aber die Pfälzer Bratwurst gegen die harte Konkurrenz aus Thühringen und Nürnberg wird durchsetzen können – entscheiden letztlich die Gaumen der erfahrenen Schiedsrichter – die sich Wurst für Wurst munden lassen und die Bissen mit kühlem Gerstensaft aus dem Fass herunterspülen werden.
Wie gewohnt entsenden die Heddesheimer Vereine wieder ihre Spezialisten. Auch die Koryphäe Hannes Gutfleisch wird wieder dabei sein. Er hält seit 15 Jahren den Rekord, allein am Geruch insgesamt 14 (von 20!) verschiedene Bratwurstsorten zu identifizieren. Auf Platz zwei liegt Else Gerstner, die immerhin schon 11 Sorten erkannte.
Bleibt nur zu hoffen, dass es der Wettergott wie auch in der vergangenen Jahren wieder gut mit den Festbesuchern meint.“


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